Ghosting im Recruiting: Das leise Problem, das Unternehmen heimsucht

In der heutigen Welt des Recruitings, in der Unternehmen unermüdlich nach den besten Talenten suchen, ist ein beunruhigender Trend in Erscheinung getreten: Ghosting. Ursprünglich aus der Dating-Welt stammend und den abrupten Kontaktabbruch beschreibend, hat dieses Phänomen den Sprung in die Arbeitswelt geschafft.

Aktuelle Studien

Laut einer Befragung unter 400 Recruiter:innen durch die Jobbörse Indeed und der Marktforscher Appinio haben bereits mehr als 90% der Personaler:innen Ghosting durch Kandidat:innen erlebt. Dagegen stehen 28% der von Indeed 2022 befragten Jobsuchenden, die angeben, einen potenziellen Arbeitgebenden bereits geghostet zu haben. Bewerbende verschwinden dabei einfach aus dem Bewerbungsprozess, ohne Erklärung oder Grund. Sie reagieren nicht mehr auf E-Mails oder Anrufe und erscheinen nicht zu vereinbarten Terminen. Gemäß einer Onlineumfrage unter mehr als 3.800 Jobsuchenden durch den Recruiting-Softwarehersteller Softgarden haben gar 10% einen Vertrag vor dem ersten Arbeitstag wieder gekündigt oder sind gar nicht erst zum ersten Arbeitstag erschienen. Dies hinterlässt nicht nur offene Stellen, sondern auch frustrierte Arbeitgeber.

Auswirkung auf Unternehmen

Diese Praxis hat weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen und eine alarmierend hohe Auswirkung auf die Effizienz des Rekrutierungsprozesses. Dass beispielsweise bis zur Hälfte der Kandidat:innen nicht zu vereinbarten Vorstellungsgesprächen erscheinen (laut Daten von Indeed aus dem Jahr 2019) verschwendet wertvolle Ressourcen (und Nerven!), erschwert die Arbeit der HR-ler und kann im Extremfall die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens belasten. Die Unternehmen leiden also unter jedem Kontaktversuch, der ins Leere läuft. Und dieser Trend zieht sich mittlerweile durch alle Karrierelevel und Altersgruppen.

Höhere Erwartungen an den Arbeitgeber

Ghosting ist symptomatisch für den aktuellen Zustand des Arbeitsmarktes. Bewerbende befinden sich heute in einer Machtposition, die sich erheblich von der früherer Zeiten – mit höheren Arbeitslosenquoten, einem Arbeitgebermarkt und einer anderen Arbeitsmarktmentalität – unterscheidet. In einer Zeit niedriger Arbeitslosigkeit und großen Fachkräftemangels können sich Arbeitnehmende tendenziell aussuchen, wo sie künftig arbeiten möchten. Dies führt dazu, dass Bewerbende höhere Erwartungen an ihre zukünftigen Arbeitgebenden haben, und wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, eher geneigt sind, sich zurückzuziehen. Ein „besseres Jobangebot“ ist der wichtigste Grund, der von denjenigen genannt wird, die ihren Job trotz Vertragsunterzeichnung nicht angetreten haben. Aus der Sicht vieler Bewerbender hätte der Arbeitgebende den Absprung durch eine persönliche Kontaktaufnahme verhindern können.

Ghosting als Reaktion auf unternehmerisches Fehlverhalten im Recruitingprozess?

Die Kommunikation seitens der Unternehmen wird von 55% der von Absolventa in einer Umfrage befragten Personen insgesamt als großes Ärgernis eingestuft: Von der nicht erfolgten Empfangsbestätigung über fehlende Antworten hin zu nicht erfolgten Absagen. Denn Ghosting ist kein einseitiger Trend, sondern auch ein – in Zeiten des Bewerberüberflusses entstandenes – Machtgebahren seitens der Unternehmen, welches von potenziellen Arbeitnehmenden nicht mehr einfach so hingenommen wird. Einst war es so, dass Bewerbende aufgeregt auf den Moment des ersten Kontakts warteten. Tendenziell waren die Personaler hier in der stärkeren Position und konnten aus einer Vielzahl motivierter und qualifizierter Menschen wählen. Doch mittlerweile haben die Bewerbenden längst die Macht übernommen und können nach Belieben entscheiden, wen sie ignorieren und wen sie annehmen.

Ist Ghosting ein hausgemachtes unternehmerisches Problem? Eine Umfrage von Monster.de aus dem Jahr 2019 ergab, dass drei von 10 Kandidat:innen keine Antwort auf ihre Bewerbung erhalten haben. Selbst wenn es eine Rückmeldung gibt, dauert diese im Schnitt 13 Tage – eine Zeit, in der sich Bewerbende vergessen fühlen. Kein Wunder also, dass sie sich anderweitig orientieren oder die Unternehmen ihrerseits ghosten, wenn das Interesse schwindet.

Was können Unternehmen heute tun?

Ghosting mag wie ein vorübergehendes Ärgernis erscheinen, aber seine Auswirkungen können für Unternehmen langfristig spürbar sein. Eine transparente Kommunikation, Wertschätzung und ein respektvoller Umgang mit Bewerbern sind nur einige der häufig in diesem Kontext genannten „Schlüssel“, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. In einer Zeit, in der die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt verschoben sind, ist eine positive und vertrauensvolle Beziehung zu Kandidat:innen von entscheidender Bedeutung. Ghosting sollte nicht ignoriert, sondern als Herausforderung gesehen werden, der man sich mit Offenheit und Respekt stellen muss.


Falls du noch Fragen hast oder mehr über Ghosting erfahren möchtest, schreib uns gerne eine E-Mail an socialmedia(at)yakha.de.